1. Was sind vertiefende Interviews?
Es werden mit mehreren Personen aus einer oder mehreren Akteursgruppen semistrukturierte Interviews durchgeführt. Diese ermöglichen eine hohe Offenheit auch für nicht antizipierte Aspekte und bieten einen sehr tiefen Informationsgehalt. Dadurch lassen sich nicht nur Meinungen und Hintergründe erfragen, sondern auch gemeinsam mit den Teilnehmenden Ideen entwickeln und testen. [1]
Stärken:
- Tiefer Informationsgehalt, es können ausführliche Informationen und Hintergründe erhoben werden
- Hohe Offenheit; die Interviewten können neue Argumente einbringen, somit können auch nicht antizipierte Aspekte erhoben werden
- Ideen können gemeinsam mit den Teilnehmenden (weiter)entwickelt werden
Schwächen:
- Vertiefende Interviews verlangen nicht zu unterschätzende Fertigkeiten und Sensibilität von der Person, die die Interviews durchführt, da sie großen Einfluss auf die interviewte Person nehmen kann. [2] So sollen Antworten durch Fragen so wenig wie möglich beeinflusst werden (keine Suggestivwirkung), andererseits müssen alle relevanten Aspekte abgedeckt werden. Die interviewende Person darf keine Meinung äußern, soll dabei aber eine möglichst „natürliche“ Gesprächsatmosphäre schaffen; der Eindruck einer Prüfsituation muss vermieden werden. [3]
- Auswahl der Teilnehmenden ausschlaggebend für Qualität der Ergebnisse: Es besteht das Risiko, dass wichtige Aspekte fehlen, wenn diese „falsch“ oder in unzureichender Anzahl ausgewählt wurden
2. Wie kann man mit vertiefenden Interviews die Akzeptanzfaktoren erheben?
Indem mit mehreren Akteuren aus jeder Akteursgruppe vertiefende Interviews geführt werden, entsteht ein umfassendes Bild der Akzeptanzstufen und der diese bedingenden Faktoren für jede der Akteursgruppen. Es können zudem verschiedene Szenarien oder Optionen durchgesprochen werden und somit die gewonnene Informationsbasis noch verbreitet werden.
3. Planung, Durchführung und Nachbereitung
3.1 Identifikation der Teilnehmenden
Aus jeder Akteursgruppe sollten mehrere Akteure interviewt werden. Dabei sind die Akteursgruppen die in den Vorüberlegungen identifizierten Akzeptanzsubjekte. Die Teilnehmenden sollten so ausgewählt werden, dass möglichst unterschiedliche Akteure jeder Gruppe beteiligt sind, sodass unterschiedliche Sichtweisen und Argumente erhoben werden können und ein möglichst vielschichtiges Bild entstehen kann. Werden bei weiteren Interviews keine neuen Argumente mehr genannt, spricht man von einer Sättigung. Dies ist ein probates Zeichen, dass genügend Interviews durchgeführt wurden.
3.2 Vorbereitung der Interviews
Für die Akzeptanzanalyse empfehlen sich problemzentrierte Leitfadeninterviews. Diese haben den Vorteil, dass sie ein gutes Maß an Offenheit und Flexibilität ermöglichen, indem der Leitfaden an den Verlauf des Interviews und die jeweils interviewte Person angepasst werden kann. Dadurch können auch nicht antizipierte Aspekte von den Interviewten angesprochen werden. Andererseits wird durch den Leitfaden sichergestellt, dass alle relevanten Punkte thematisiert werden. Eine gute, kompakte Übersicht zur Vorbereitung und Durchführung problemzentrierter Interviews finden Sie hier:
https://studi-lektor.de/tipps/qualitative-forschung/problemzentriertes-interview.html
Ausführlichere Informationen und Anleitungen finden Sie zudem in der unter Punkt 6 genannten Literatur.
Was in den Interviews abgefragt werden sollte:
- Wie hoch ist die Akzeptanz?
- Welche Gründe sind ausschlaggebend für die Höhe der Akzeptanz?
Hierfür können auch die folgenden Fragen hilfreich sein:
- Bedeutung der Innovation und deren Auswirkungen für die interviewte Person
- Interessen der Akteure in Bezug auf die Innovation und deren Auswirkungen
- Erwartungen an Innovation – positive und negative
- Bereits bestehende Konflikte mit Bezug auf das Akzeptanzobjekt
- Gibt es bereits Erfahrungen mit ähnlichen Vorhaben und wie waren diese?
(angelehnt an BfN S. 105-106)
Selbstverständlich können darüber hinaus noch weitere Punkte angesprochen werden, zum Beispiel wenn Sie bereits Hypothesen zu vorhandenen Akzeptanzproblemen haben und diese überprüfen möchten. Ebenso können auch Ideen gemeinsam (weiter)entwickelt werden.
3.3 Auswertung der Interviews:
Idealerweise werden die Interviews aufgezeichnet, im Anschluss transkribiert und mit theoretisch fundierter Methodik ausgewertet (Anleitungen dazu finden Sie unter Punkt 6: Weiterführende Links und Literatur). Falls dafür keine Ressourcen zur Verfügung stehen, stellen wir Ihnen im Folgenden Anregungen vor, wie sich mit wenig zusätzlichem Zeitaufwand die für die Akzeptanzanalyse wichtigen Informationen aus den Interviews herausarbeiten und für die weitere Nutzung aufarbeiten lassen. Eine Vorlage der Akzeptanzskala und der Tabelle, die Sie ausdrucken und während des Interviews ausfüllen können, finden Sie zum Download auf der rechten Seite.
Akzeptanzskala
Die Interviewten werden während des Interviews an geeigneter Stelle gebeten, sich und/oder die Ihnen bekannten Akteure auf einer Akzeptanzskala einzuordnen. Diese reicht von völliger Ablehnung (scharfe Kritik an der Innovation, Widerstand) über mehrere Stufen hin zu höchster Akzeptanz (hohe Zustimmung zur Innovation, Unterstützung). Die Skala kann auf einem Blatt Papier aufgemalt werden (sie befindet sich auch auf der Vorlage weiter unten) und die Interviewten markieren ihre eigene Position bzw. die Positionen der Ihnen bekannten Akteure darauf. Nachdem alle Interviews abgeschlossen sind, können Sie die Ergebnisse in einer einzigen Skala zusammenführen. Diese zeigt dann auf, wie sich die Akzeptanz verteilt. Sind die Akzeptanzniveaus sehr unterschiedlich? Gibt es viele Teilnehmende in der Mitte der Skala, die in einigen Punkten Zustimmung signalisieren, andere Aspekte aber kritisch sehen? Das Ergebnis kann dann für die weitere Akzeptanzanalyse genutzt werden.
Beispiel:
Tabelle der Akzeptanzfaktoren
Ebenfalls bereits während der Interviews können Sie eine Tabelle ausfüllen, in die Sie die von den jeweiligen Interviewten genannten Akzeptanzfaktoren eintragen. Ein Beispiel für eine solche Tabelle finden Sie auf dem Notizblatt weiter unten. In der linken Spalte der Tabelle werden die verschiedenen im Interview genannten Argumente oder Aspekte gesammelt. In der rechten Zeile wird deren Wirkung bewertet: Positiv sind Faktoren, die die Akzeptanz erhöhen, negativ sind solche Faktoren, die die Akzeptanz senken. Diese Spalte sollte ausreichend groß gestaltet werden, sodass wenn zutreffend auch Bedingungen für die Wirkung notiert werden können. Häufig können bestimmte Aspekte sich sowohl positiv als auch negativ auf die Akzeptanz auswirken, je nachdem, wie sie im Detail ausgestaltet sind oder welche Kontextbedingungen herrschen. Dabei kann auch gleich die Stärke der Wirkung vermerkt werden, zum Beispiel „+++“ für sehr positiv, „++“ für recht positiv usw. Die ausgefüllte Tabelle kann wiederum für die weitere Analyse genutzt werden.
Beispiel:
Liste der genannten Akzeptanzfaktoren | Wirkung: Positiv (erhöht Akzeptanz) oder negativ (senkt Akzeptanz) und unter welchen Bedingungen? | Klassifikation der Stärke (+++, ++, +, – , – – , – – – ) |
Faktor A | Positiv, wenn … gegeben, negativ, wenn … gegeben | +++ / – |
Faktor B | Positiv, wenn in Weise … ausgeführt, negativ, wenn in Weise … ausgeführt | + / – – |
Faktor C | Positiv für Akteur …, negativ für Akteur … | ++ / – – – |
3.4 Nachbereitung
Die Notizen aus dem Interview, ggf. Akzeptanzskala und Tabelle der Akzeptanzfaktoren und / oder das Transkript sollten nach dem Interview an die Interviewten geschickt werden, damit diese überprüfen können, ob alles korrekt aufgenommen wurde. Zusätzlich können nach jedem Interview die Argumentationsmuster visualisiert werden. Dafür können die Beziehungen zwischen den genannten Akzeptanzfaktoren zum Beispiel in Form einer Mindmap dargestellt werden.
4. Was zu beachten ist
Unerlässlich ist bei dieser Methode einerseits die sorgfältige Auswahl der Teilnehmenden, da das Risiko besteht, dass bei ungünstiger Auswahl wichtige Aspekte nicht genannt werden. Andererseits ist eine gute inhaltliche Vorbereitung der Gespräche wichtig, da nur mit den richtigen Fragen die benötigten Informationen gewonnen werden können. Zuletzt ist die sensible Durchführung der Gespräche nicht nur entscheidend für deren Verlauf, sondern auch für die weitere Verwendbarkeit der erhobenen Daten. So sind durch Suggestivfragen gewonnene und somit durch den Interviewer stark beeinflusste Informationen nahezu wertlos. [4]
5. Ressourcenaufwand
Grundsätzlich ist der Ressourcenaufwand für vertiefende Interviews als eher hoch einzustufen. Dies wird allerdings auch erheblich von den jeweiligen Gegebenheiten bedingt, insbesondere davon, wie viele Interviews geführt werden müssen, was wiederum von der Anzahl der Akteursgruppen abhängt, aber auch davon, wie heterogen die Gruppen jeweils sind, ob also pro Gruppe sehr viele Interviews geführt werden müssen. Sind die Akteure geographisch weit voneinander entfernt, erhöht dies die benötigten Ressourcen bei persönlichen Interviews. Telefonische Interviews sind generell weniger aufwändig, allerdings ist die Aufzeichnung der Interviews dann technisch komplizierter und Sie können die Interviewten nicht bitten, Akteure beispielsweise auf der Akzeptanzskala selbst einzuzeichnen.
Planen Sie Zeit für Vorüberlegungen, Auswahl und Kontaktieren der Teilnehmenden, inklusive Kontaktieren zusätzlicher Kandidaten bei Absagen, ein. Je nachdem, wie flexibel Ihre Teilnehmenden zeitlich sind und wie viele Interviews Sie führen möchten, kann die Durchführung der Interviews zwischen einigen Wochen und mehreren Monaten in Anspruch nehmen. Für Transkription und Auswertung sollten Sie nochmals mehrere Wochen einplanen.
In finanzieller Hinsicht ist vor allem das Gehalt der Person, die die Interviews vorbereitet, durchführt und auswertet, einzuplanen. Darüber hinaus sollten Sie bei persönlich durchgeführten Interviews an Fahrtkosten denken. Ggf. kommen auch Kosten für die Transkription der Interviews hinzu.
6. Weiterführende Links und Literatur
Eine ausführliche Anleitung zur Vorbereitung und Durchführung qualitativer Interviews, die auch ohne methodische Vorkenntnisse hilfreich ist, bietet Helfferich: Helfferich, Cornelia (2009): Die Qualität qualitativer Daten: Manual für die Durchführung qualitativer Interviews. 3. Ed. Wiesbaden: VS Verl. Für Sozialwissenschaften.
Eine Anleitung speziell zur Durchführung problemzentrierter Interviews finden Sie von Witzel oder auch Lamnek:
Witzel, Andreas (2000): Das problemzentrierte Interview. Forum Qual. Social Res. 1 (1). http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/1132/2519
Lamnek, Siegfried (2010): Qualitative Sozialforschung. 5. Aufl. Weinheim: Beltz, S. 332-337: Kapitel 8.4.3: Problemzentriertes Interview
Eine wissenschaftlich-theoretisch fundierte Anleitung für problemzentrierte Interviews findet sich zudem online unter:
http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/FORSCHUNGSMETHODEN/Problemzentriert-Interview.shtml
Eine sehr ausführliche Anleitung zur methodisch fundierten Auswertung von Interviews bieten Gläser und Laudel in Kapitel 5 („Auswertung von Experteninterviews mit der qualitativen Inhaltsanalyse“) des folgenden Werks: Gläser, J. und Laudel, G. (2004): Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse als Instrumente rekonstruierender Untersuchungen. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften.
Noch vielseitiger ist die Anleitung der Universität Augsburg, die verschiedene Methoden der Transkription und Auswertung genau erklärt:
https://www.philhist.uni-augsburg.de/lehrstuehle/volkskunde/studium_verlinkungen/downloads/leitfaden_interview.pdf